Sebastian Schild – Meine Geschichte


Meine Geschichte beginnt im Mai 2005. Es war ein herrlicher Samstagvormittag, die Sonne schien an diesem Tag zu ersten Mal richtig warm und ich war mit meinem besten Freund auf seinem Motorrad unterwegs. Wir waren jung, ich war gerade 20, das Leben war einfach herrlich. Und so fuhren wir an diesem Vormittag eine Landstraße entlang und genossen das schöne Wetter. Plötzlich bemerkte ich, dass etwas nicht stimmt. Ich sagte meinem Kumpel noch über die Schulter nach hinten, dass er sich festhalten soll – und dann war plötzlich alles schwarz. Wie ich später im Krankenhaus erfuhr, hatte ich mit dem Vorderrad den Bordstein gestreift. Durch die Wucht war ich über den Lenker geflogen, meterweit durch die Luft. Zielsicher wie ich damals schon war, traf ich mit dem Kopf das einzige Objekt, das weit und breit in der Nähe stand, eine Laterne.

Noch viel später im Krankenhaus erfuhr ich dann, dass meine Wirbelsäule gebrochen war, was eine Querschnittlähmung zur Folge hatte. Nach zwei Wochen im künstlichen Koma kam ich langsam zurück ins Leben. Die Ärzte erzählten mir, was passiert ist. Und sie sagten mir, dass meine Familie und meine Freunde da sind. Das war erst einmal okay für mich, aber ich verspürte trotzdem ein dringendes Bedürfnis. Ich wollte etwas trinken! Nach zwei Wochen Koma mit künstlicher Beatmung, war mein Hals völlig ausgetrocknet. Dazu kam, dass es ein sehr heißer Frühsommertag war. Ich fühlte mich total ausgetrocknet.

Aber die Ärzte sagten zu mir, dass das noch zu früh wäre. Für einen Frischoperierten gibt es noch kein Wasser zu trinken. Ich solle erst ein wenig zu Kräften kommen. Aber ich habe gequengelt wie ein kleines Kind. Immer wieder habe ich gesagt: “Bitte, gebt mir doch ein Glas kaltes, sprudelndes Wasser!“ Irgendwer erbarmte sich und stellte mir ein Glas Wasser auf den Nachttisch. Aber in den ersten Tagen konnte ich mich fast gar nicht bewegen. So musste ich also meine ganze Kraft zusammennehmen , um das Glas an mich heranzuziehen und an meine Lippen zu bekommen. Dann habe ich einen kleinen Schluck Wasser getrunken. In diesem Moment passierte etwas mit mir, ein Gefühl, das man nur ganz schlecht beschreiben kann. Aber ich möchte dieses Gefühl trotzdem gern mit Euch teilen. In diesem Moment spürte ich ein Gefühl von Glück und Dankbarkeit. Nur diese paar Tropfen Wasser auf meinen Lippen haben diese Gefühle ausgelöst. Ich hatte ein dringendes Bedürfnis, ein Glas Wasser, und ich hatte es tatsächlich geschafft, aus eigener Kraft dieses Glas an mich heranzuziehen und dieses Bedürfnis zu befriedigen.
Dies ist der erste Impuls, den ich Euch mitgeben möchte.

Dankbarkeit

Und zwar, Dankbarkeit für die kleinen Dinge des Lebens, weil man nie weiß, wann es vorbei sein kann oder was vielleicht morgen für uns wichtig sein kann.Aber das war natürlich noch nicht alles. Zunächst einmal lag ich dort und konnte mich kaum bewegen – ich war wirklich sehr schwach. Jeder, der einmal einen Gips getragen hat, weiß, wie schnell sich unsere Muskulatur abbaut. So lag ich nun in meinem Bett und habe sehr viel ferngesehen. Bei einer Reportage über Fallschirmspringer dachte ich: „Fallschirm springen, bei einer Höhe von 4000 m aus dem Flugzeug springen, im freien Fall, das wär doch was!“ Meine Mitpatienten und das Pflegepersonal haben gesagt: „Junge, sieh erst einmal zu, dass du dir selbständig die Schuhe anziehen und ein Brot schieren kannst!“ Doch ich habe mir gedacht: „Nein! Ich will Fallschirmspringen!“ Was hat mir nun dieser große Traum gebracht? Jeden Tag musste ich einen großen Kampf kämpfen. Dabei ging es um Krafttraining, Rollstuhltraining, sogar das Anziehen musste ich neu trainieren, um wieder ins Leben reinzukommen. Nicht immer war es einfach, ich hatte ständig Schmerzen und auch immer wieder mal Rückschritte. Doch dieses große Ziel, dieser große Traum, irgendwann einmal Fallschirmspringen zu können, half mir jeden Tag aus dieser schwierigen Situation wieder neue Kraft schöpfen zu können.

Träume

Die Dinge wirklich anzupacken, umzusetzen und auch dranzubleiben, das ist das Zweite, das ich Euch mitgeben möchte. Habt große Träume im Leben, aber nicht nur große Träume sind es, denn Ihr müsst auch ein Ziel daraus machen! Bei einem großen Ziel solltet Ihr die Dinge Schritt für Schritt herunterbrechen um sagen zu können: „Das ist jetzt der nächste große Schritt, der mich meinem Ziel näher bringt!“ Schon in dem Buch „Die Kunst des Kriegers“, diesem sehr alten Buch, steht, „In jedem Kampf gewinnt nur der Krieger, der bereit ist, für ein Stückchen Freiheit, einem Stückchen selbstbewussten Leben, alles zu geben!“ Und ich weiß, dass ich noch lebe, wenn ich weiß, dass ich für ein Stückchen selbstbewusstest Leben alles gebe!“

Ziele

Nicht nur in dieser Situation war es wichtig, im Alltag erlebe ich es immer noch jeden Tag. Zum Beispiel, wenn ich im Supermarkt bin. Mit meinem kleinen Korb auf dem Schoß rolle ich durch die Gänge. Biege ich um die Ecke in den nächsten Gang, passiert es immer wieder, dass ein so genannter Fußgänger mit seinem Einkaufswagen den Gang entlang kommt. Er sieht mich, ich sehe ihn und wir kommen aufeinander zu. Nun gibt es zwei Szenarien. Estens: Ich weiß ganz genau, was ich will. Da oben ist der Brokkoli, den will ich haben, denn heute gibt es Brokkolisuppe! Variante zwei: Ich weiß nicht, was ich hier mache, wo bin ich hier, was gibt es dort? Mal schauen. In der ersten Variante sieht mich der Fußgänger auf sich zukommen. „Aha, ein Rollstuhlfahrer, keine Potentielle Gefahr! Der Mann sieht aus, als wüsste er genau, wohin er will. Ich geh besser mal außen herum. In der zweiten Variante sieht er auch den Mann im Rollstuhl auf sich zukommen. „Aha, ein Rollstuhlfahrer, keine potentielle Gefahr! Aber was macht er da? Wo will er hin? Braucht er vielleicht Hilfe? Soll ich ihn ansprechen oder besser in Ruhe lassen? Jetzt passiert es in den meisten Fällen, dass wir ineinander krachen. Er mit dem Einkaufswagen und ich mit dem Rollstuhl. Und so sehe ich immer wieder, wie wichtig es im Leben ist, ein konkretes Ziel zu haben. Nicht nur für mich selbst, um die täglichen Dinge anzupacken und umzusetzen. Auch für meine Mitmenschen und meine Umwelt. Woher sollen den die anderen wissen, wo man lang möchte, wenn man es selbst nicht weiß? Das war also der dritte Punkt: Klare Ziele haben und diese dann Schritt für Schritt umzusetzen!

Kommunikation

Im Krankenhaus hatte ich einen sechzehnjährigen Zimmerkollegen, der eine Stabilisierung im Rücken hatte. Somit durfte der Junge nicht sitzen. Nur stehen oder flach liegen. Ich hatte das Thema, wie auch jetzt noch, nur sitzen zu können. Wir hatten im Speisesaal einen gemeinsamen Tisch, ohne Stühle. Er durfte ja nicht sitzen und ich brachte meinen Stuhl zum Essen immer mit. Wir hatten also einige Gemeinsamkeiten und uns im Prinzip auch ganz gut verstanden. Das war Grund genug um uns anzufreunden. Eines Tages gab es für uns eine ganz spezielle Situation. In diesem Krankenhaus stand ein Cola-Automat, den sie wahrscheinlich extra für uns dort hingestellt hatten. Man musste als Rollifahrer schon extrem groß sein, um an den Schlitz für den Geldeinwurf zu kommen. Für mich war das ein Ding der Unmöglichkeit. Das nächste, was zu tun war, um die Cola zu entnehmen, war, sich nach unten zu bücken, eine Klappe zu öffnen und darin herum zu wurschteln, um die Flasche zu entnehmen. Dies allerdings konnte mein Zimmerkumpel nicht. Somit hatte jeder von uns eine Fähigkeit, die er einsetzen konnte. Doch keiner konnte diese Aufgabe allein bewältigen. Das Ding war also, wir mussten oder durften nur zusammen gehen. Denn einer allein kam nicht an die begehrte Cola. Einmal hatten wir beide uns wegen des Fernsehprogramms übelst gestritten. Total unsinnig eigentlich, aber allzu viel Abwechslung gab es ja dort nicht. Deswegen war das tägliche Fernsehprogramm schon wichtig. Der nächste Tag war ein extrem heißer Tag. Ich hatte Durst und freute mich auf eine eisgekühlte Cola. Mein Zimmernachbar aber sagte zu mir: „Nein, ich komme nicht mit. Du warst gestern so zickig zu mir, jetzt kannst du zusehen, wie du an deine Cola kommst!“

Seitdem ist Kommunikation ein wichtiger Punkt für mich geworden. Kommunikation in Beziehungen, im Alltag, im Beruf, mit mir selbst. Einfach in jedem Bereich ist Kommunikation ein ganz wichtiger Punkt. Ein weiteres Beispiel: Als ich nach elf Monaten Krankenhaus und Reha nach Hause kam, bezog ich meine erste eigene Wohnung, fühlte mich aber anfangs noch etwas unwohl. Also beschloss ich, mit meiner damaligen Freundin in die Stadt zu fahren, Kaffee zu trinken und ein wenig die Umgebung anzusehen. Ich lebe in Wuppertal, das der ein oder andere vielleicht kennen mag. Dort gibt es die Schwebebahn, die ca. 15 Meter über der Wupper fährt. Wir sind zum nächsten Bahnhof gegangen und problemlos in die Schwebebahn gestiegen. Bis hierhin alles ohne Komplikationen. Aber während der Fahrt hatte ich folgende Gedanken: „Wie komme ich hier wieder raus?“ Meine Freundin sagte zu mir: „Genauso wie rein. Stuhl ankippen und raus – zack, fertig!“ Nun war aber durch die vielen Menschen die Situation etwas stressig. Und ich wollte nicht rückwärts angekippt, so wie sie es gelernt hatte, aus der Schwebebahn heraus, sondern zielgerichtet, wie ich eben bin, mit der Nase voraus. Und das sagte ich ihr auch. Wir machten uns also bereit, die Türen öffneten sich, doch wir vergaßen das Wichtigste: Das Ankippen! Das ist nämlich auch oder gerade beim vorwärts aussteigen sehr wichtig. Und so kam was kommen musste: Die kleinen Vorderräder meines Rollis verkeilten sich unter der Schwebebahn und meine Exfreundin kippte mich aus dem Rolli. Wie aus einer Sackkarre hatte sie mich ausgekippt! Und da lag ich nun, mitten auf dem Hauptbahnhof. UND CA: 50 oder 60 Menschen um mich herum – Ich war stinksauer auf meine Ex-Freundin – die aber keinesfalls deswegen heute meine Exfreundin ist! Das Ganze dauert vielleicht 30 Sekunden, dann saß ich wieder in meinem Rolli, aber stundenlang war ich noch sauer auf sie. Wie konnte sie es nur vergessen, die kleinen Räder anzukippen? Auch ich hatte es vergessen und vor allem, hatte ich vergessen, es ihr zu sagen. Vor allem, weil ich anders aussteigen wollte, als sie es gelernt hatte. Trotzdem sprach ich an diesem Tag kein Wort mehr mit ihr. Hier fehlten zwei wichtige Dinge: Erstens die richtige Kommunikation. Denn schließlich war ich selbst verantwortlich und konnte ihr nicht später die Schuld daran geben. Und zweitens: Eine gewisse Gelassenheit. Die sollte ich erst viel später bekommen.

Um es zusammenzufassen: Ihr kennt es auch, jeder hat sein Päckchen zu tragen und es ist egal, ob er wie ich im Rollstuhl sitzt, oder mit seinem Körper unzufrieden ist, oder wer weiß was sonst. Wir sitzen alle im selben Boot. Aber wir können jederzeit aus dieser Situation aussteigen. Doch jeder muss es für sich selbst tun. Einmal zurückgedacht an die Jahre, die ich im Rollstuhl sitze und welche Fehler ich gemacht habe. Ich habe meinen Körper schändlich behandelt, Menschen, die ich liebte, verstoßen, meine Zukunft versaut! Ich hatte keine Lust mehr auf mein Leben…

Es ist so – wenn man Fehler macht kann man einiges verlieren. Doch das lernt man erst wenn man lebt! Denn erst dann merkt man, dass es im Leben sehr oft nur auf Kleinigkeiten ankommt. So wie das Glas Wasser. Oder so wie Ihr, weil Ihr wisst, mit jedem Buch, das Ihr lest, kommt Ihr ein Stück näher zu einem glücklichen und vor allem selbstbewussten Leben. Gedankensplitter: „Ich glaube, dass unser Verhalten und unsere Fähigkeiten in der Umgebung, in der wir uns gerade befinden, verantwortlich dafür sind, ob wir unsere Ziele und unsere Träume erreichen“


Sebastian Schild

Sebastians Berufung ist es, Menschen zu helfen eine Veränderung zu machen, Ängste loszulassen, mehr Mut zu haben ihre Träume zu verwirklichen, sich selbst so anzunehmen wie sie sind und somit ihre Lebensqualität bedeutend zu steigern. Getreu dem Motto: Flieg, wenn Du nicht mehr laufen kannst!

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