Emotion ist wichtiger als Perfektion
Viele Fotos sind wie ein Gericht, das lediglich satt macht
Ich vergleiche das immer sehr gerne mit einem Essen in einem Restaurant. Ein korrekt belichtetes und scharfes Bild ist wie ein Gericht, das dich satt macht. Dass es schmecken könnte ist eine ganz andere Geschichte – und wenn es sogar köstlich wäre – ja dann würde ich sagen, es ist genau das, was ich will. Leider passiert das nicht sehr oft. Wenn man sich manche Bewerbungsfotos oder sogar Portraits ansieht, hat man das Gefühl, dass es ein Gericht war, dass wirklich nur den Hunger gestillt hat. Man kann dabei nichts spüren, hat nicht das Gefühl, etwas von der gezeigten Person zu verstehen. Es fehlt die Prise Salz und das exotische Gewürz, das nur auf den Hängen des Vulkans wächst: die Emotion.
Ich habe z.B. schon oft Bilder gemacht, die durch die Bewegung der Person verwischt waren – man hat beim Betrachten das Gefühl, diese Bewegung sogar zu spüren. Wenn es so ist, dass man mit Fotos Leben nur „andeuten“ kann, dann ist es das, was dem am Nächsten kommt. Rein technisch betrachtet natürlich ein Makel – aber in der Emotion gedacht, transportiert es ein viel klareres Bild von dem Menschen, der fotografiert wurde. Es ist Freude, Leichtigkeit und Persönlichkeit. Ich könnte noch viele Gründe dafür aufzählen, warum ich ein verwischtes, emotionales Bild, einem so genannten „perfekten“ vorziehe – ich bin mir aber sicher, dass du das auch selbst so erfühlen kannst.
Oft machen Makel Bilder erst fühlbar
Vielleicht ist es dir schon öfter selbst so gegangen – du hast einen für dich wichtigen Moment fotografiert und leider ist das Bild etwas verschwommen oder unscharf. Vielleicht hast du auch lange überlegt, ob du es nun löschen sollst oder ob es gut genug ist. Ich möchte dich ermutigen, für dich wichtige Bilder nach der Emotion zu beurteilen. Es gibt Bilder, die kann man nicht stellen. Manchmal werden sie durch einen Makel perfekt – was auch immer das bedeutet – und manchmal könnte es nicht besser sein, selbst wenn es durch die korrekte Belichtung wie in Stein gemeisselt wäre.
Kannst du den Menschen auf dem Bild spüren?
Ist es nicht auch bei anderen Dingen so, dass wir sie nicht gelten lassen oder sie gar nicht erst anfangen, weil wir sie nicht „perfekt“ tun können? Verpassen wir nicht manchmal Unvergessliches, weil wir durch unseren eigenen Anspruch oder die Angst davor gar nicht erst versuchen, sie zu tun? Das kann in der Kunst sein, in der Liebe und auch im Job. Wichtig ist, dass es entsteht – korrigieren kann man meistens später immer noch. Wenn ich Gedichte schreibe, stolpere ich auch darüber – „Schreib zuerst mit dem Bauch, dann mit dem Kopf“ – das nicht zu glauben, hat irgendwann sogar dazu geführt, dass ich eine regelrechte Schreibblockade hatte. Ich dachte, ich kann ja gar nichts Großes schreiben, das gibt es alles schon. Ich habe das überwunden, weil ich erkannt habe, dass es nicht darum geht, es perfekt zu tun.
Heute machen wir Bilder, die emotional und berührend sind. Die Dinge zeigen, die man eigentlich nicht auf ein Foto bannen kann. Momente, die damit unvergänglich werden. Es sind scharfe und unscharfe, verwischte und klare Bilder. Aber du kannst spüren, was das Bild und der Mensch darauf möchte, wünscht und empfindet. Ist das nicht das perfekte Imperfekt?
Fotocredits: Florian Beier