Ein Thema, das mich zutiefst bewegt und in dem ich mich immer wieder selbst üben muss, ist die Verletzlichkeit. Ich bin überzeugt, dass wir nur wahrhaft tiefe Beziehungen führen können, wenn wir uns authentisch zeigen – mit all unseren Facetten, auch den vermeintlich hässlichen oder schwachen. Diese Schwächen machen uns menschlich. Meiner Erfahrung nach fällt es Frauen oft leichter, diese Seite an sich zu zeigen und zu akzeptieren, da sie als Kinder eher weinen und melancholisch sein durften. Viele Männer hingegen wurden erzogen, Schmerzen ohne Gefühlsausdruck zu ertragen. Doch ich sehe einen langsamen Wandel in den heutigen Heranwachsenden und hoffe, dass zukünftige Generationen nicht mehr geschlechterspezifisch behandelt werden, sondern einfach als das, was sie sind: Menschen.
Männer, die weinen, sind keine schwachen Männer
Wir Frauen beklagen uns oft, dass Männer nicht genug Gefühle zeigen. Wenn wir von Gefühlen sprechen, meinen wir oft Romantik, Liebe, Leidenschaft und Freude – selten jedoch Trauer und Schwäche. Das gesellschaftliche Bild des Mannes ist immer noch einseitig: der Versorger, die starke Schulter, der Beschützer. Dieser Ideal-Mann, dieser Übermensch, existiert schlichtweg nicht – und das ist auch gut so!
Für mich ist es der schönste Vertrauensbeweis, wenn ein Mann vor mir weint.
Erst wenn ich in einer Beziehung auch einen Tiefpunkt mit meinem Partner durchschritten habe und wir uns in schlechten Zeiten verbunden haben, glaube ich an eine Zukunft mit diesem Partner. Wir alle wollen in unseren Tiefpunkten jemanden an unserer Seite, der uns versteht und akzeptiert. Auch Männer wollen ihre Gefühle zeigen dürfen.
Wenn wir uns ehrliche und verletzliche Beziehungen mit Männern wünschen, müssen wir uns fragen: Geben wir den Männern auch den Raum, den es braucht, um verletzlich zu sein? Schaffen wir eine Umgebung, in der er sich wie ein normaler Mensch zeigen kann, oder erwarten wir, dass er stets in seiner gesellschaftlich auferlegten Rolle des starken Übermenschen verbleibt?
Viele Menschen sind überfordert von Verletzlichkeit
Ich selbst habe mich einmal so richtig falsch verhalten, als sich ein Mann mir gegenüber verletzlich zeigte. Mein damaliger Freund befand sich in einer Krise, und als wir über unsere gemeinsame Zukunft diskutierten, brach er in Tränen aus. Sein Körper bebte, und ihm liefen unkontrolliert die Tränen über die Wangen. Ich hatte ihn noch nie so gesehen und war überfordert. Anstatt ihn ausreden zu lassen, versuchte ich, die starke Schulter zu spielen und ihn mit tröstenden Worten zu beruhigen.
Erst nach dieser Erfahrung erkannte ich, dass das Beste, was ich hätte tun können, gewesen wäre, ihm Raum zu geben. Um die Bedürfnisse des anderen zu verstehen, muss man selbst einmal verletzlich gewesen sein oder sich in die Situation hineinversetzen können. Wenn jemand sich verletzlich zeigt, ist das Beste, was man geben kann, Verständnis, ein offenes Ohr, eine sanfte Umarmung und Liebe.
Ich hatte ihm mit meinen tröstenden Worten keinen Raum gelassen, seine Gefühle wirklich zu spüren. Ich wollte ihm helfen, die Situation zu lösen, aber der Schmerz vergeht von allein, wenn wir ihn richtig fühlen und nicht unterdrücken. Alles, was wir tun müssen, ist, den Gefühlen den nötigen Raum zu geben.
Ich liebe dich egal ob schwach, stark, traurig oder freudig.
Worte sind oft fehl am Platz. Umarmt den anderen, wenn er es zulässt, oder nehmt seine Hand. Lasst ihn erzählen oder einfach nur weinen. Wenn der Redefluss nachlässt und die Tränen getrocknet sind, könnt ihr das Wort ergreifen. Öffnet euch selbst und zeigt Mitgefühl.
Das könnt ihr zu einem verletzten Menschen sagen:
- Ich fühle mit dir.
- Es tut mir leid, dass du das durchmachen musst.
- Ich glaube, es gibt gerade keine Worte, die helfen können. Ich möchte einfach für dich da sein.
- Es wird wieder gut, auch wenn es jetzt nicht so aussieht.
Sprich einfach aus was dir dein Gefühl sagt, was du in Liebe aussprichst wird auch so empfangen werden.
Natürlich dürfen auch Frauen die starke Schulter, die Beschützerin und die Tröstende sein. Dennoch ist es wichtig, der verletzlichen Person erst einmal den Raum zu geben, um sich selbst wieder zu ordnen. Lass ihn oder sie erzählen; die Gefühle müssen fließen dürfen und sollten nicht durch lieb gemeinte Sätze wie „Es gibt keinen Grund zu weinen“ gestoppt werden.
Tränen sind das Ventil unserer Seele. Wenn alles zu viel wird, kann über den Tränenfluss der Druck abgebaut werden. Unterbrechen wir diesen Prozess, bleibt ein Restgefühl zurück, das uns weiterhin belastet.
Wichtig ist es auch, der anderen Person zu zeigen, dass es völlig in Ordnung ist, was gerade passiert. Wir lieben und akzeptieren diese Person, egal ob sie traurig, glücklich, stark oder schwach ist.
Eine Beziehung mit Tiefe muss auch durch Tiefen gehen können
Sei ehrlich zu dir selbst: Wie lange kannst du deine verletzliche Seite in einer engen Beziehung oder Freundschaft geheim halten? Früher oder später wird das Leben dir eine Gelegenheit schenken, dich verletzlich zu zeigen. Du kannst nicht kontrollieren, ob dein Gegenüber mit Verständnis reagieren wird, aber du kannst äußern, was du dir in dieser Situation wünschst:
- Ich möchte im Moment nicht reden. Kannst du mich einfach in den Arm nehmen?
- Kannst du erst zuhören? Ich möchte etwas erzählen.
- Ich brauche dich jetzt als gefühlvollen Menschen.
- Ich brauche gerade einfach Liebe.
- Bitte lass uns nicht sachlich darüber sprechen. Sachlich lässt sich nicht erklären, was ich gerade fühle.
Ich hoffe, du kannst dich in deiner Beziehung mit anderen Menschen verletzlich zeigen und konntest ein paar Gedanken mitnehmen, wie man anderen den Raum gibt, sich zu öffnen.
Von Herzen alles Liebe,
Ein Gutes Buch zum Thema Verletzlichkeit, das ich dir gerne weiterempfehlen möchte ist von Brene Brown: Verletzlichkeit macht stark*
Sandra Strixner
ist eine Genussweltenbummlerin die gerne neue Länder und Kulturen entdeckt. Rezepte auf Pflanzenbasis zu entwickeln lässt ihr Herz höher schlagen. Sie ist ein Green-Networker und beschäftigt sich mit Persönlichkeitsentwicklung, Ernährungslehre und Tierschutz. Als geprüfte Fachberaterin für holistische Gesundheit darf sie Menschen dabei begleiten sich selbst zu heilen.
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photocredits:
Mann mit tätowierten Händen – Ayo Ogunseinde
Weinender Mann – Tom Pumford
Hände die sich halten – Elizabeth Tsung
Küssendes Paar – Joanna Nix